Mittwoch, 21. Dezember 2011

Eine Weihnachtsgeschichte (in ihrer Bedeutung nicht zu verwechseln mit DER Weihnachtsgeschichte, obwohl beide ein gutes Ende nehmen)

Heute habe ich kein Rezept, sondern eine Weihnachtsgeschichte für euch. Ich habe sie vor Jahren geschrieben, und ich finde, dass jetzt ein guter Zeitpunkt ist, sie raus in die Welt zu tragen. Komisch eigentlich, denn in Weihnachtsstimmung bin ich dieses Jahr wirklich nicht. Aber das kommt vielleicht noch. Möglicherweise. Eventuell.

Und bevor sich jemand beschwert: Die Rentiere in meiner Geschichte sind keine Nutztiere, sondern freiwillig dem Weihnachtsmann zu Diensten (naja, mehr oder weniger, wie ihr noch lesen werdet...). :-)


Eine Weihnachtsgeschichte (in ihrer Bedeutung nicht zu verwechseln mit DER Weihnachtsgeschichte, obwohl beide ein gutes Ende nehmen)

Weihnachtsmann Nummer 172 ist schlecht gelaunt. Sehr schlecht gelaunt. Und wenn man ihn sich genauer ansieht, könnte man sogar meinen, dass er richtig böse ist. Und das hat folgende Gründe:

Zunächst wurde sein Lieblingsrentier Rudolph (zugleich bester Freund und Seelsorger, denn unser Weihnachtsmann hat immer etwas auf dem Herzen) krank, und das so kurz vor dem Weihnachtsfest! Seine Nase leuchtete auf ein Mal nur noch blass rosa, so dass der Weihnachtsmann Nr. 172 ihn besorgt und kurzerhand in den Stall verfrachten musste, sich vom Rentier-Notarzt versichern ließ, es käme alles innerhalb weniger Tage in Ordnung (was er allerdings nicht ganz glauben wollte), und sich notgedrungen und schon etwas verärgert um ein Ersatz-Rentier kümmerte. Du kannst dir vorstellen, dass es am Nachmittag des Heiligen Abends mehr als schwer ist, noch ein Rentier zu engagieren, denn schließlich brauchen alle anderen Weihnachtsmänner auch welche, aber nach langer Suche wurde unser Weihnachtsmann schließlich fündig: Er mietete das Rentier Rainer - und bereute es sofort. „Wie, fliegen soll ich?“ frage Rainer entsetzt, als er merkte, was ihm bevor stand. „Ich habe doch SOLCHE Höhenangst. Und außerdem, haben wir nicht Minusgrade? Bei diesen Temperaturen arbeite ich für gewöhnlich nicht. Aber nun gut, da ja heute Weihnachten ist…“. „Ich glaube, der Junge hat den falschen Beruf gewählt“, dachte sich der Weihnachtsmann Nr. 172, und spannte Rainer vor den Schlitten.

Das hätte für eine ordentlich schlechte Laune schon gereicht. Zu allem Überfluss fiel am selben Nachmittag auch noch die Heizung unter der Schlitten-Vorderbank aus. Da unser Weihnachtsmann sehr schnell friert, eilte er zur Schlitten-Werkstatt, wo man ihm freundlich mitteilte, dass man am Weihnachtstage Besseres zu tun habe als defekte Heizungen zu reparieren und ihm ein Bündel alter Wolldecken in die Hand drückte.

Ja, jetzt weißt du, warum der Weihnachtsmann mit der Nummer 172 so schlecht gelaunt ist. Alle anderen Weihnachtsmänner sind schon längst unterwegs, all die Geschenke zu verteilen, die sie auf den Schlitten haben, denn das ist ihre Aufgabe, aber unser Weihnachtsmann sitzt gedankenverloren auf seiner eiskalten Vorderbank und starrt vor sich hin. Heute morgen hat er vom Christkind alle Geschenke zugewiesen bekommen, die er verteilen soll, zusammen mit einem hohen Stapel von Wunschzetteln, damit er auch weiß, wohin welches Paket geht. „Warum mache ich das eigentlich alles?“ fragt sich der Weihnachtsmann. „Weihnachtsmann ist doch der denkbar undankbarste Beruf, den man ergreifen kann. Das Christkind wird, sobald die ersten Lebkuchen im Supermarkt stehen (also spätestens Ende August) mit langen Briefen und Wunschzetteln von Kindern aus aller Welt überhäuft, an denen es sich freuen kann. Knecht Ruprecht darf wenigstens so tun, als sei er Furcht erregend, und nach dem Nikolaus werden sogar Stadtteile benannt (und nach denen wiederum Straßen). Und was bin ich? Eine Nummer, ohne Namen…“. Da hat er aber Unrecht in seiner depressiven Stimmung, der Weihnachtsmann Nr. 172. Auch Weihnachtsmänner haben Namen (vorne und hinten), allerdings verraten sie sie selten, denn das würde ihnen das Geheimnisvolle nehmen, auf das sie insgeheim stolz sind.

„Geht’s jetzt mal los oder was?“ mokiert sich Rainer, und das reißt den Weihnachtsmann aus seiner Trance. Er zieht an den Zügeln, bestimmt etwas grober als sonst, und das Gespann macht sich auf den Weg. Viele Sturzflüge (da Rainer ob seiner Höhenangst manchmal einfach die Augen schließt), enge Kamine (unser Weihnachtsmann ist, sagen wir, etwas rundlich, und er hat damit immer einige Mühe) sowie strahlende Kinderaugen (die der Weihnachtsmann Nr. 172 heute gar nicht richtig wahrnimmt) später bleibt schließlich nur noch ein Wunschzettel übrig. „Komisch“, denkt sich unser Weihnachtsmann und schaut sich die Anschrift an, die auf dem Umschlag steht, „es ist doch gar kein Geschenk mehr im Schlitten“. „MÜSSEN wir da jetzt wirklich noch hin fliegen?“ quengelt Rainer, aber er wird einfach ignoriert.

Ihr Ziel ist ein kleines Backsteinhaus am Ende einer Baum gesäumten Straße. Unser Weihnachtsmann steigt vom Schlitten und macht ein paar Schritte auf das Haus zu. Ehe er sich überhaupt fragen kann, was er denn jetzt ohne Geschenk hier soll, wird die Tür geöffnet. Eine alte Dame steht vor ihm. „Sind Sie der Weihnachtsmann?“ fragt sie ihn freundlich. „EIN Weihnachtsmann, ich bin EIN Weihnachtsmann“, sagt der Weihnachtsmann Nummer 172, der sich ein bisschen komisch vorkommt, da er sich selten mit seiner Kundschaft unterhält (das sollen doch der Nikolaus und Knecht Ruprecht machen, diese Angeber). „Das kommt auf das Gleiche heraus“, sagt die alte Dame, und ehe er sich versieht (er wollte eigentlich höflich anmerken, dass er ihr Geschenk wohl auf dem Weg verloren habe, und schnell wieder gehen), befindet unser Weihnachtsmann sich in der Stube. Auf dem Kamin steht eine Schale mit Wasser und Tannennadeln - der ganze Raum ist erfüllt von ihrem Duft. Auf dem Tisch sieht er eine Kanne Tee und daneben ein Teller mit Weihnachtsgebäck. „Spekulatius!“ ruft unser Weihnachtsmann, und schämt sich sofort für seine Unbeherrschtheit. Du musst wissen, dass der Weihnachtsmann Nr. 172 eine Schwäche für Plätzchen hat, und vor allem für Spekulatius (insbesondere solche mit Mandeln). „Greifen Sie zu“, sagt die alte Dame mit einem Lächeln.

Und sie beginnt zu erzählen. Von ihren Kindern und Enkeln, die im Ausland leben und sie nur selten an Weihnachten besuchen können, davon, dass sie Plätzchen backen über alles liebt und dass ihr ein kleines Mädchen aus der Nachbarschaft oft dabei hilft. Und auch unser Weihnachtsmann vergisst für eine kleine Weile, dass er sonst eher wortkarg ist, und berichtet von seinem Ärger mit arbeitsscheuen Rentieren, kalten Schlitten und engen Kaminen. Und wer weiß, vielleicht verrät er der alten Dame auch seinen Namen.

Als er sich endlich von ihr verabschiedet und wieder vor die Tür in das kalte Dunkel tritt, ist es schon längst spät am Abend. Rainer ist beleidigt. „Was hat das denn so LANGE gedauert“, brummt er unseren Weihnachtsmann an, „mir sind ja schon fast die Hufe festgefroren.“ „Wenn dem so wäre, würde ich dich jetzt auch hier stehen lassen und zu Fuß nach Hause gehen, egal, wie lange DAS dauert“, bekommt er zur Antwort, und das ist der letzte Wortwechsel zwischen Rentier und Weihnachtsmann für diesen Abend.

Als der Weihnachtsmann Nr. 172 seine Haustür aufschließt, bemerkt er sofort zwei Zettel, die durch den Briefschlitz geworfen wurden. Auf dem einen findet er einige Dankesworte des Christkindes („Auf gute Zusammenarbeit für das nächste Jahr“ und Ähnliches), auf dem Anderen teilt man ihm mit, dass sein Schlitten gleich morgen repariert werden könne. Und als er kurz nach Rudolph schaut, stellt er fest, dass dessen Nase auch schon wieder mindestens erdbeerfarben ist. Zufrieden lässt sich unser Weihnachtsmann in seinen Sessel sinken. Eines hat er aber doch noch auf dem Herzen: Dass er der alten Frau kein Geschenk machen konnte. „Was hat sie sich eigentlich gewünscht?“ fragt er sich, denn das hat er ganz vergessen nachzusehen. Er kramt den zerknitterten Umschlag aus seiner Tasche und entnimmt das Papier. Darauf steht ganz oben „Ich wünsche mir“ – so wie auf den meisten Wunschzetteln – und darunter liest der Weihnachtsmann Nummer 172 in schönen geschwungenen Buchstaben geschrieben: „Den Weihnachtsabend nicht allein verbringen zu müssen.“

In diesem Sinne: Fröhliche Weihnachten! :-)

2 Kommentare:

  1. das ist echt ne süße Geschichte :-)

    AntwortenLöschen
  2. Musste mir grade eine Träne verdrücken, so eine süße Geschichte :). Solche Geschichten hat meine Mama mir früher auch immer erzählt :)

    AntwortenLöschen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.